"Man muss den
Schmerz gefühlt haben"

Andrea Berg sagt, sie singt nur, was sie selbst durchlitten hat

von Andrea Berg © Bild: Sony Music / Gabo

Frau Berg, Ihre gewagten Outfits lassen vermuten, dass Sie ab und zu gerne eine Spur zügelloser wären, als es das enge Korsett der Schlagerbranche eigentlich vorsieht. Stimmt das?
Das kann schon sein, da bin ich jemand, der schon immer mit der Fahne vorausgelaufen ist. Während andere noch lange Glitzerkleider trugen, hatte ich schon den schwarzen Ledermini an, und zwar mit rausguckenden Strapsen wie Pippi Langstrumpf. Vielleicht war das aber auch ein klein wenig kompensatorisch. Vielleicht war das alles ein bisschen Waffe, ein bisschen Schutzschild ...

Das müssen Sie erklären.
Vielleicht habe ich die Enttäuschung über einen Betrug nach außen hin kompensiert und wollte demjenigen, der ihn begangen hat, zeigen: Guck dir nur an, was du verloren hast!

»Früher musste ich vielleicht etwas kompensieren, aber heute spiele ich mit der Erotik. Das ist meine Art der Provokation«

Ihr spezieller Look ist also nichts anderes als Rache?
Früher musste ich vielleicht etwas kompensieren, aber darüber bin ich hinaus, heute sage ich ganz bewusst: Ich spiele mit der Erotik - und das sehr gerne, das ist meine Art der Provokation. Ich mag die Erotik dieser geschlitzten Kleider, denn ich habe schöne Beine und fühle mich in meiner Haut viel wohler als noch vor zehn Jahren. Da ist ein neues Selbstwertgefühl entstanden. Wenn ich reduziert würde auf "die mit den langen Beinen" oder "die mit den üppigen Brüsten", dann wäre das natürlich schwierig. Aber wenn man etwas zu sagen hat und darüber hinaus mit seinem eigenen Körper im Einklang ist, so ist das eine Multiplikation der eigenen Energie.

Sie füllen seit Jahrzehnten die Hallen und Stadien, verkaufen Millionen von Platten und stehen gegenüber dem Feuilleton dennoch permanent unter Rechtfertigungsdruck. Nervt Sie das nicht allmählich?
Meine Anfangszeit, das war eine Phase, wo der Schlager als absolut unschick galt. Wo man zwar immer, wenn etwas gefeiert wurde - egal ob auf dem Schützenfest oder am Ballermann, Hauptsache aber mit drei Promille - mein Lied "Du hast mich tausendmal belogen" spielte; die Tanzfläche war voll, aber man hat sich nicht dazu bekannt. Das war eine sehr schwierige Zeit, denn ich hatte schon einen Riesenerfolg, doch er wurde immer irgendwie belächelt - das tat schon weh.

Und heute nicht mehr?
Nein, denn ich denke, dass es damals Leute wie Wolfgang Petry oder ich waren, die den Grundstein für den modernen Popschlager gelegt haben. Das Schöne ist: Mit 50 Jahren bin ich heute in der Position, wo ich niemandem mehr etwas beweisen muss. Und wenn mich jemand im Fernsehen sieht und sagt: "Ist das zum Kotzen, ich kann die Alte nicht mehr hören!"- dann gibt's ja heute dieses Ding, da musst du nicht einmal mehr vom Sofa aufstehen. Einfach umschalten, und schon ist sie weg.

Was macht denn letztendlich einen guten Schlager aus?
Man kann heutzutage schon viel mehr Lyrik hineinbringen, um von diesem banalen Schönwetterschlager wegzukommen. Natürlich gibt es auch auf meinem neuen Album "Seelenbeben" Songs, die pure Lebensfreude versprühen, das ist auch wichtig. Aber es ist ebenso wichtig, sich mit Dingen wie Trennungsschmerz auseinanderzusetzen. Ich möchte für jede Emotion das passende Gummibärchen auf meinem Album haben. Am wichtigsten ist aber, dass über allem die Authentizität steht: Wer den Schmerz nicht kennt, kann auch nicht darüber schreiben. Man muss den Schmerz selbst gefühlt haben, dann kann man ihn auch glaubhaft transportieren.

Andrea Bergs Album "Seelenbeben"
© Werk Bergs neues Album "Seelenbeben" hat in Deutschland und Österreich bereits Goldstatus. Tourdaten auf: www.andrea-berg.de

Das Gefühl, betrogen und verletzt zu werden, zieht sich leitmotivisch durch Ihre Musik. Was ist Ihnen denn so Traumatisches passiert?
Getäuscht und enttäuscht zu werden, diese Entwicklung macht doch fast jeder durch. Es liegt in der Natur des Menschen, vielleicht noch stärker in der Natur der Frau, dass man sehr, sehr schnell spürt, wenn etwas nicht stimmt, es aber nicht wahrhaben will.

Es geht also um diese Phase vom ersten Instinkt bis zum handfesten Beweis?
Genau. Und selbst wenn der Beweis da ist und der Betrug offensichtlich, kann es sein, dass man noch immer nicht reagiert. Motto: Das will ich nicht, ich will, dass das alles nur ein Traum ist, dass ich aufwache und alles wieder gut ist. Deswegen ist die Tendenz zum zweiten Versuch bei Frauen viel größer als bei Männern. Der Mann sagt: "Neee!" Der ist da realistischer, aber die Frau ist eher bereit, Kompromisse einzugehen und zu sagen: "Verlass mich nicht, bleib, ich verzeihe dir." Immer und immer wieder.

Sie auch?
Oh ja. Da müssen wir Frauen ganz oft noch eine Ehrenrunde drehen, weil wir immer noch nichts daraus gelernt haben. Und dann haben wir mit dem einen Typen abgeschlossen und gehen mit demselben Beuteschema wieder los und suchen uns einen fast identischen Typen, der dann vielleicht sogar dasselbe noch einmal mit uns macht. Das sind hochinteressante Dinge, weil das ja nicht nur bei mir so ist.

»Wenn immer alles schön ist, verkrüppelt unsere Seele. Die größten Dramen im Leben sind eigentlich Glücksfälle«

Sind Sie ein unglücklicher Mensch, weil sie immer wieder betrogen wurden?
Ganz und gar nicht. Mein Leben ist ein Seelenbeben, ein Auf und Ab - aber Lethargie wäre für mich viel schlimmer. Wenn alles immer schön ist, verkrüppelt unsere Seele ein bisschen, und wir können das Glück gar nicht wertschätzen.

Demzufolge ist das Unglück lebensnotwendig.
Ich finde, dass gerade die größten Dramen im Leben die eigentlichen Glücksfälle sind, weil sie uns dazu bewegen, etwas zu verändern. Je mehr man auf die Fresse kriegt, desto eher ist man bereit, sich neu aufzustellen, sich zu schütteln und neu Gas zu geben.

Gilt das auch für Verlust und Trauer?
Ja. Erst die Konfrontation mit Endlichkeit und Tod bringt die Ehrfurcht vor dem Leben, und die macht letztendlich unsere Lebendigkeit aus.

Können Sie das anhand eines Beispiels festmachen? Wie sind Sie am Tod gewachsen?
Mein Papa war Rettungssanitäter, er sah, wie Menschen von einer Sekunde auf die andere aus dem Leben gerissen wurden. "Sagt euch immer ordentlich ,Gute Nacht' oder ,Adieu', geht nie im Streit auseinander, man weiß nie, ob man sich noch einmal wiedersieht" - das hat er mir mitgegeben. Als ich dann mit sechzehn als Krankenschwester in der chirurgischen Ambulanz begann und später in die Onkologie wechselte, merkte ich erst, wie viel Lebensehrfurcht er mir beigebracht hatte.

Was hat Sie Ihre Arbeit in der Onkologie und später in der Palliativ-und Hospizbewegung gelehrt?
Das, was die Menschen in ihren letzten Momenten tun und sagen, ist unverfälscht und echt. Sie haben es nicht nötig und auch gar keine Zeit, irgendetwas zu spielen oder darzustellen. Es ist etwas ganz Besonderes, solche Augenblicke mit einem Menschen zu teilen. All diese Erfahrungen haben mein Leben reicher gemacht. So reich, dass es für einige Menschen sogar befremdlich war, wie ich mit dem Tod meines Vaters umgegangen bin: "Wie kann die heute Abend auftreten, heute Nachmittag ist ihr Vater gestorben?", fragten sich viele. Aber für mich war es selbstverständlich, auf die Bühne zu gehen, denn da war ich ihm ganz nahe. Früher kam das Wort "Tod" in meinen Texten nie vor, doch jetzt habe ich es in meinem Song "Sternenträumer" erstmals niedergeschrieben. Ich bin an einem Punkt, wo ich sage: Da kann ich mitreden.

Haben Sie eigentlich eine Patientenverfügung?
Ja.

Sie haben verfügt, nicht lebensverlängernd an irgendwelchen Geräten zu hängen?
Ja. Ich finde ganz wichtig, dass der Mensch das für sich selbst entscheidet. Es ist viel besser, ich gehe so schmerzfrei und selbstbestimmt wie möglich, als ich belaste mit der schwierigen Entscheidung über das Wann und Wie meine Angehörigen.

Sie sehen den Tod als Moment absoluter Authentizität. Sehen Sie die Momente sexueller Hingabe ähnlich?
Provokant gefragt: Ist man in jungen Jahren in der Sexualität immer authentisch? Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass das in jungen Jahren vielmehr Stress bedeutet. Es ist doch schön, wenn ich beim Sex irgendwann nicht mehr den Bauch einziehen muss und mich einfach hingeben kann. Diese Reife, nicht mehr unbedingt so sexy sein zu wollen, um zu gefallen, um jemanden anzuturnen - diese Reife kommt erst mit der Zeit. Weil man dann nicht mehr so sehr auf die Sexualität reduziert wird. Es ist doch schön, dass ich mich irgendwann zu erkennen geben kann und merke: Jetzt ist es wirklich Liebe und nicht mehr alleine körperliches Verlangen. Ich muss nicht mehr so tun, als ob, weil ich begehrt werden möchte. Das ist ein großer Luxus des zunehmenden Alters, wenn man da einen Partner hat, mit dem man das authentisch ausleben kann.

Zu Ihrem Song "Diese Nacht ist jede Sünde wert" steht im Booklet: "Wenn man liebt, liebt man, egal, ob man verheiratet mit jemand anderem ist - wenn es bumm macht, kann das keine Macht der Welt verhindern." Warum sind Sie eigentlich verheiratet?
In dem Moment, wo ich einen Menschen heirate, sage ich: Ich liebe dich - jetzt. Und meine Treue passiert freiwillig, nicht aus Pflicht. Dennoch ist Liebe etwas, das sich bewegt, was ich nicht einsperren kann. Sollen zwei Menschen denn aneinander krank werden, nur weil sie sich versprochen haben, bis zum Tod zusammenzubleiben? Wenn Sie mich jetzt fragen, sage ich: Ich werde meinem Mann nie untreu sein und war es auch nie. Aber ich kann nicht mit endgültiger Sicherheit sagen, was ich in zwei Jahren antworten würde. Das kann keiner.

Sie fordern eine radikale Autonomie der Gefühle ein - steht das auf den ersten Blick nicht im Widerspruch zu Ihrem etwas bieder anmutenden Lebensumfeld, wo Sie im "Sonnenhof" im Dirndl Ihre Hotelgäste umsorgen?
Aber nein, man darf Liebe ja nicht auf zwei Menschen reduzieren, die zusammengehören. Wenn ich in den "Sonnenhof" komme, ziehe ich mein Dirndl an und serviere den Menschen Rostbraten; nicht nur, weil ich in eine Hoteliersfamilie eingeheiratet habe, sondern aus Liebe, weil ich es gerne mache. Ich umsorge Menschen, die bei mir zu Gast sind, genauso gerne wie mein Publikum in den Konzerten oder Menschen im Hospiz.

Sie und Helene Fischer - ist das eine Rivalität wie zwischen Bayern München und Borussia Dortmund?
Im Gegenteil. Helene ist fast genau 20 Jahre jünger als ich, sie könnte also meine Tochter sein. Und trotzdem sind wir auf Augenhöhe, wie Freundinnen, und ich bin mächtig stolz auf sie.

Hat Fischer im Gegensatz zu Ihnen noch den Druck, gefallen zu müssen?
Sie macht sich selbst Druck, weil sie immer alles perfekt machen, immer noch besser werden will. Doch irgendwann mit Anfang dreißig muss man ganz einfach auch innehalten und genießen. Am Ende des Songs "Wunderland" auf dem neuen Album heißt es: "Wir mussten erkennen, dass Applaus allein nicht wärmt."

ZUR PERSON
Mit zehn Millionen verkauften Tonträgern gehört Berg zu den erfolgreichsten Künstlern im deutschsprachigen Raum. Die Schlagersängerin wurde am 28. Jänner 1966 als Andrea Zellen in Krefeld geboren. Vor ihrer Musikkarriere arbeitete sie als Krankenschwester. Berg hat eine 18-jährige Tochter und ist in zweiter Ehe mit dem Sportmanager Ulrich Ferber verheiratet, mit dem sie ein Hotel betreibt.

Kommentare

Sie bleibt die Königin, einfach wunderbar!

Seite 1 von 1