"Sonst fahren wir an die Wand"

Androsch und Moser - eine Bestandsaufnahme der österreichischen Missstände

von Hannes Androsch und Josef Moser © Bild: Michael Appelt

Das Buch ist ein Aufruf: Österreich müsse zukunftsfit gemacht werden. Erster Schritt: eine schonungslose Auflistung der Schwächen der hiesigen Realverfassung, insbesondere in den Bereichen Verwaltung, Bildung, Budgetausrichtung, Gesundheit. Und heftige Kritik an dem, was sich häufig hinter "Föderalismus" versteckt.
Hannes Androsch: Prinzipiell ist Österreich ein demokratischer Rechtsstaat. Aber einer in einem zunehmend bürokratisierten, überregulierten und dadurch sich selbst behindernden Zustand.
Josef Moser: Es geht heute den Proponenten in vielen Fällen nicht mehr darum, eine optimale Lösung für alle zu finden, sondern Eigeninteressen durchzusetzen.
Androsch: Mit dem Ergebnis, dass die Kräfte des Beharrens und Verhinderns stark sind, die Kräfte des Veränderns und Regierens nicht stark genug. Beispiel Sozialpartner: Sie haben sich nicht zeitgemäß weiterentwickelt, sind Hemmschuhe geworden, siehe Gewerbeordnung, Arbeitszeitflexibilisierung Beispiel Parteien: heute unfähig, die wirklichen Zukunftsprobleme zu lösen, siehe die sture Verhinderung von mehr Ganztagsschulen oder die Zugangs-und Studienbedingungen an den Unis. Es fehlt an Zukunftsorientierung, Überzeugungskraft, Durchsetzungsvermögen.
Moser: Es wurde eine Struktur aufgebaut, die immer schwerfälliger, aber deren Leistung für den Einzelnen immer knapper wurde.

Ihr ökonomischer Befund: von Europas Überholspur auf Europas Kriechspur.
Androsch: Wir haben eine der höchsten Steuerquoten in Europa, dennoch überall Defizite in den öffentlichen Haushalten. Die Sozialquote ist eine der höchsten der Welt, gleichzeitig beklagen wir steigende Armutsgefährdung. Da spielt die derzeit so heiß diskutierte Mindestsicherung kaum eine Rolle: Dort mag es wie in jedem dieser Systeme Missbrauchsfälle geben, aber insgesamt streiten wir um vergleichsweise geringe 200 Millionen Euro.
Moser: Besonders besorgniserregend: Bis 2045 stehen Pensionsverpflichtungen von 373 Milliarden Euro an, denen nach derzeitiger Prognose Einnahmen von nur 65 Milliarden Euro gegenüberstehen.

»Wer zu wenig Schulden macht, verpasst die Zukunft. Die Frage ist, wofür man sie eingeht.«

In Teilen Europas wird übers Kaputtsparen geklagt: Es werde zu wenig investiert, um die hohen Arbeitslosenquoten zu senken.
Androsch: Es geht nicht um Sparen als buchhalterische Größe, sondern um einen vernünftigen Mitteleinsatz.
Moser: Sparen ist kein Selbstzweck. Es geht um den effizienten Einsatz des Steuergelds für Zukunftsinvestitionen, für Bildung und Forschung, für Modernisierungen im Gesundheits- und Pflegebereich.
Androsch: Wer zu wenig Schulden macht, verpasst die Zukunft, und wer zu viele Schulden macht, belastet die nachfolgenden Generationen zu hoch. Schulden muss man sich leisten können, die Frage ist, wofür man sie eingeht.

Steuersystem: extrem kompliziert. Und eine Reform, die keine ist.
Moser: Das Steuersystem bleibt trotz jüngster Reform extrem kompliziert. Ein Unternehmer braucht in Österreich durchschnittlich 166 Stunden im Jahr, um seine steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Allein in der Einkommensteuer bestehen 558 Begünstigungen. Sie allein verursachen einen Verwaltungsaufwand von 73 Millionen Euro. Allein dieses System wurde in den letzten 16 Jahren 422 Mal geändert, im Schnitt gab es also alle 14 Tage eine Änderung. Die Steuerreform 2015/2016 beinhaltet keine wirkliche Reform. Sie baut höchstens die alten Strukturen weiter aus statt um.
Androsch: Dadurch wurde nur die stille Steuerprogression der vergangenen Jahre abgegolten. Das Gegenfinanzierungspaket hält die Steuerbelastung unverändert hoch und führt etwa zu einem massiven Wirtesterben. Diese Registrier- oder Resignationskassen wurden in jeder Hinsicht ungenügend vorbereitet.
Moser: Die Alkoholsteuer ist ein weiteres Beispiel für überbordende Bürokratie: eine Versteuerung nach dem Regelsatz, zwei ermäßigte Steuersätze nach Alkoholmenge und Produktionsart, beim Hausbrand Steuerbefreiungen für Landwirte und Angehörige, zu guter Letzt noch regional unterschiedliche Regelungen
Androsch: Ein Pflanz wie in der Landwirtschaft. In jedem Bundesland gilt etwas anderes. Wir haben drei verschiedene Mehrwertsteuersätze, womöglich für dieselbe Pflanze, je nachdem, für welchen Zweck sie verkauft wird.
Moser: Es gibt drei verschiedene Abzugssteuersätze für Kapitaleinkünfte und Immobilienertragsteuer.
Androsch: Da kommen vermeintliche Interessenvertreter in die Hände von Steuerjuristen. Dann kommen halbe Sachen heraus, die nicht einmal das angestrebte Ziel erreichen, sondern nur zu Behinderungen der wirtschaftlichen Aktivitäten führen, und Verteuerungen der Bürokratie.

»Sparen ist kein Selbstzweck. Es geht um den effizienten Einsatz des Steuergelds für die Zukunft.«

Die Kräfte des Beharrens: in Ländern und Parteien.
Androsch: Für die verkrusteten Zustände ist die Länderbürokratie verantwortlich, sie ist aus den Ufern gelaufen und wesentlich größer als die Bundesbürokratie. Die EU-Bürokratie hat ohne den Übersetzungsapparat für 500 Millionen Leute weniger Beamte als die Finanz verwaltung unseres Landes. Und die hat ein Achtel der zusammengerechneten Länderbürokratien. Einige Landesparteien sind finanziell aus öffentlichen Mitteln viel besser aufgestellt als die Bundespartei, was die Durchsetzungskraft von Letzterer nicht gerade erhöht. Wer das Geld hat, schafft an: Ist der Onkel reich, hat der Neffe wenig zu plaudern.
Moser: Wir fahren an die Wand, wenn alles so weitergeht wie bisher. Beispiel Pensionsrecht: Wir werden kontinuierlich älter als unsere Vorfahren, das ist auf Dauer ohne Reformen nicht finanzierbar.
Androsch: Die Jüngeren, die noch dazu meist längere Ausbildungszeiten haben, werden das Doppelte der Pensionslast für die Älteren zu tragen haben, die 80 bis 100 Jahre alt werden können.
Moser: Es fehlt eine schlüssige Gesamtdarstellung für die Konsolidierung. Es wird nicht darüber nachgedacht: Was erwartet uns in den nächsten fünf, zehn, 15,20 Jahren? Wie sehen die globalen Wettbewerbsbedingungen aus? Es wird über die Abgabenautonomie für Länder diskutiert, ohne im Vorfeld die Kompetenzen Bund, Ländern und Gemeinden zuzuweisen.
Androsch: In seiner jetzigen Form ist der Föderalismus ein Bremsklotz für die gesamtstaatliche Entwicklung.
Moser: Die Gemeinden finanzieren Aufgaben der Länder mit, ohne über deren Verwendung mitreden zu können. Man muss sie stärker einbeziehen. Zweiter Punkt einer Föderalismusreform: den Hebel dort anzusetzen, wo der Bund auf die Funktion des Zahlers eingeschränkt ist.
Androsch: In der Schulpolitik würde das bedeuten: Der Bund gibt eine gemeinsame Grundausrichtung vor, schließlich finanziert er ja das System. Dann gibt es eine stark ausgebaute Schulautonomie. Bei diesem Modell fiele auf einen Schlag die Länderebene weg, was auch richtig wäre, schließlich geht dort das meiste Geld verloren. Noch ein skurriles Beispiel für die Unsinnigkeit im sogenannten Föderalismus: Für das Leichenbestattungswesen gibt es neun Landesgesetze. Die Folge: Ein Niederösterreicher wird in Salzburg kremiert, die Urne wird nach Niederösterreich transportiert; bis zur Landesgrenze ist Salzburg zuständig, für die Weiterfahrt Oberösterreich, dann Niederösterreich, dann Wien, am Zielort wieder Niederösterreich. Das fällt ja im Zorn nicht dem Teufel ein.
Moser: In Deutschland wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert, der Staat gestrafft, die Bürokratie zurückgedrängt, der Zugang zum Gewerbe liberalisiert: Kernelemente, ohne die auch Österreich den Anschluss verlieren wird.
Androsch: Es wäre verteilungs- und wachstumspolitisch höchst bedenklich, wenn die öffentliche Hand darauf verzichtet, Geldkapital für Investitionen in die Infrastruktur zu verwenden.

"Einspruch" von Hannes Androsch und Josef Moser, aufgezeichnet von Peter Pelinka (Edition a, € 16,90). Ab 25.10. im Buchhandel.

Kommentare

Der Androsch weiß immer alles besser aber als er Finanzminister und Vizekanzler der Republik war, hat er nichts weitergebracht. Das ist das typische "Muppets-Verhalten" (ihr wisst schon die zwei Alten am Balkon)

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

jede banknote ist ein schuldschein

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

die schulden werden mit deflation beglichen und es gibt keinen einzigen staat ohne schulden

im grunde genommen zahlen wir noch schulden von 30j krieg, vatikankrieg, türkenkrieg - auch wenns nur die zinsen sind

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

wenn wir alle schulden begleichen, dann sind wir geldlos und bankrott

ob tauschhandel das ware ist bleibt jeden überlassen

parteilos melden

Kein Staat ohne Schulden? genau....
Zahlen Zinsen von den Schulden vor dem Bankrott von Österreich? genau.....

giuseppeverdi melden

Knuddi gehe nochmals in die Volksschule damit du rechtschreiben lernt, denn das wäre das Wahre (nicht das ware sic.) für dich!

Rigi999 melden

Androsch hat selbst einen Schuldenberg angehäuft uns seine Kollegen sollten "arbeiten" statt streiten und die Partei in den Mittelpunkt stellen!!!! Von Bildungspolitik zu reden, von der er Null Ahnung hat, ist traurig genug!!!!Das Volk kommt immer am Ende und derzeit schon hinter den Flüchtlingen- trauriges Österreich!!!! Die Alten drehen sich im Grab um!!

Wofgang Cernoch melden

Androsch »Schuldenberg« ist ein Bruchteil, was schwarze Finanzminister in den Jahren danach an Schulden angehäuft haben. Und das Bildungswesen ist seit Jahren eine Agenda von Androsch. Noch weniger ist es wahr, daß das »Volk« hinter den Flüchtlingen gereiht wird. Jedes Zeitalter hat ihre Herausforderungen, wir aber sind ängstlich und zögerlich geworden, und suchen die Schuld immer bei den anderen.

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

hätten wir die flüchtlinge nicht, dann hätte jeder LH einen goldenen sessel und die schulden wären dann noch höher ....

Aber das hat ja niemand evaluiert, was die Grasser´sche Reform gebracht bzw. gekostet hat. Die Spitzenjobs in der Finanzverwaltung werden von der Politik vergeben wie die Lehen um Mittelalter. So kann eine Verwaltung nicht funktionieren. Aber das interne Controlling sagt ja etwas ganz anderes und man klopft sich auf die Schulter.

Finanzverwaltung: 1990 -> 140 Bedienstete -> 2004 -> 80 Bedienstete -> Reform Grasser zwecks Personaleinsparung -> 2010 -> 110 Bedienstete, obwohl das Amt bis 2004 österreichweit im Arbeitsfortgang unter den Top Ten lag; 70 Hearingkommissionen, obwohl laut oberstem Personalvertreter die Jobs schon vor dem Hearing - z.B. nach Anrufen aus Kärnten, als Haider noch lebte - vergeben werden.

Seite 1 von 1