Wer Kickl stärker macht

Der FPÖ-Chef umwirbt Wähler, bei denen die EU unten durch ist. ÖVP und SPÖ tun das auch. Aber so, dass es ganz nach seinem Geschmack ist.

von Politische Analyse - Wer Kickl stärker macht © Bild: Privat

ANALYSE

21 Prozent der Österreicher finden, dass die Europäische Union eine schlechte Sache sei. Das sind relativ wenige. Insofern kann man sich wundern, dass die FPÖ mit Slogans wie "EU-Wahnsinn stoppen" in den EU-Wahlkampf zieht. Ein zweiter Blick auf die Ergebnisse der jüngsten Eurobarometer-Erhebung führt jedoch Erhellendes zutage: Bei den Menschen, die sich selbst der Arbeiterklasse oder der unteren Mittelschicht zuordnen, haben überdurchschnittlich viele ein negatives Bild von der Union. Bei den Arbeitern handelt es sich um 47 Prozent. Das ist die Zielgruppe, mit der Herbert Kickl bei der Europawahl am 9. Juni und bei der Nationalratswahl am 29. September auf Platz eins kommen möchte mit seiner Partei. Also bedient er sie, lässt Harald Vilimsky, seinen Spitzenkandidaten für den Urnengang zum Europäischen Parlament, einen Kurs fahren, der nur knapp an einem "Öxit" vorbeigeht, schimpft selbst über "Brüssel", behauptet, dass er dort als Kanzler "Nein" sagen und eine "Veto-Karte" ausspielen würde – sei es in Bezug auf die Sanktionen gegen Russland oder die Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine.

Die Tatsache, dass die FPÖ in allen Umfragen klar auf Platz eins liegt, lässt den Schluss zu, dass Kickls Strategie aufgeht. Was wohl auch damit zu tun hat, dass er nicht vergisst, immer wieder zu behaupten, dass die Sanktionen gegen Russland zu dem geführt hätten, was der Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht ganz besonders zusetzt: die Teuerung. Das alles könnte den absehbaren Erfolg aber noch nicht erklären. Wesentlich dafür ist schon auch die Rolle der ehemaligen Großparteien: Hier geht es um Wähler, die für die SPÖ traditionell und für die ÖVP seit Sebastian Kurz zentral sind. Andererseits aber haben sie ihnen keinen proeuropäischen Gegenentwurf, sondern zum Teil eher Kickl-Bestätigungen zu bieten. Das macht diesen nur noch stärker.

Die ÖVP hat ihren Europapolitiker Othmar Karas ziehen lassen, um ungestört von einem Versagen Brüssels in Asylfragen reden zu können oder im "Österreich-Plan" ihres Chefs Karl Nehammer eine "Refokussierung der Union auf Wirtschaftsthemen", also weniger EU, fordern zu können. Bei der SPÖ schwingt eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit. Die EU dient demnach "Großkonzernen". Wichtiger: Ihrem Vorsitzenden Andreas Babler hängt bis heute nach, dass er sie vor ein paar Jahren als "imperialistisches Projekt" bezeichnet hat, das "schlimmer als die NATO" sei. Das kann er nicht vergessen machen. Wie auch? So könnte auch Kickl reden. Und der ist in der Anti-EU-Politik der Schmied.

BERICHT

Budget: mit "Gags" zum Crashkurs

Die "Patientenmilliarde", die die türkis-blaue Regierung im Jahr 2018 infolge der Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern versprochen hat, sei nur ein "Marketinggag" gewesen. Das hat die damalige Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) jetzt gestanden. Problem: Es gab noch mehr "Gags". Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kündigte an, Förderungen zu kürzen, damit sich Entlastungen ausgehen. Die Förderungen stiegen weiter, zu Entlastungen kam es trotzdem. Schlimmer: Die türkis-grüne Regierung verfolgt bei Krisen seit 2020 einen "Koste es, was es wolle"-Ansatz, der zu höheren Ausgaben führt. Gleichzeitig hat sie die Kalte Progression abgeschafft, was die Einnahmen nachhaltig weniger stark steigen lässt.

Was bei alledem herauskommt, wird allmählich klar: Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, geht davon aus, dass es heuer ein Defizit von 3,4 Prozent der Wirtschaftsleistung geben wird. Österreich würde damit die im Euro-Raum geltende Maastricht-Grenze von drei Prozent überschreiten. Ausgerechnet im Wahljahr ist das unangenehm für die ÖVP, die seit den 2000er-Jahren den Finanzminister stellt und lange Wert auf ein Nulldefizit gelegt hat.

Andererseits hat man sich mittlerweile so weit entfernt von einem solchen, dass es nur noch durch unpopuläre Maßnahmen erreichbar wäre: durch Steuererhöhungen oder Pensionsreformen. Gemessen an den Steuereinnahmen, die dem Bund netto bleiben, machen allein dessen Pensionsausgaben schon rund 40 Prozent aus. In den kommenden Jahren dürfte es sich gar um 45 Prozent handeln. Dann wird fast jeder zweite "Steuereuro" für Ruhebezüge für Beamte sowie den erforderlichen Zuschuss zur Pensionsversicherung sein. Beziehungsweise: Es wird Geld sein, das auch für andere Notwendigkeiten wichtig wäre, von Bildung über Klimaschutz bis Pflege.

ZAHL

Österreichs größtes Sicherheitsproblem

Angenommen, Österreich wird militärisch angegriffen: Sollten "wir" dann bewaffneten Widerstand leisten, auch wenn der Ausgang ungewiss ist? Politologen der Uni Innsbruck haben erhoben, wie die Bürger darüber denken. Ergebnis: Von 3.000 Befragten meinen nur 26 Prozent "auf jeden Fall" und 22 Prozent "wahrscheinlich" – in Summe 48 Prozent. Es deckt sich damit, dass nur 14 Prozent aller Männer und Frauen bereit wären, selbst zur Waffe zu greifen und dass darüber hinaus ein bemerkenswertes Verständnis von europäischer Solidarität existiert: 72 Prozent finden, dass andere EU-Länder Österreich militärisch zur Hilfe eilen sollten, wenn es attackiert wird, aber nur 14 Prozent, dass man umgekehrt anderen Ländern ebenso beistehen sollte.

Studienleiter Martin Senn betont, dass es nicht am Charakter der Leute liege, sondern daran, dass keine Bewusstseinsbildung stattfinde. Das gilt sogar für die Neutralität, die zur rotweiß-roten Identität gehört: Allgemeinwissen ist, dass ein NATO-Beitritt ausgeschlossen ist. Weniger geläufig ist, dass mit der Neutralität eine Verteidigungspflicht einhergeht, wenn man angegriffen wird. Auch das kommt nicht irgendwoher. Vergangene Regierungen haben das Bundesheer verkommen lassen und die derzeitige Regierung schafft es weder, eine Sicherheitsstrategie vorzulegen, die der neuen Bedrohungslage gerecht wird, noch generelle Milizübungen wiedereinzuführen, damit die eigene Truppe einsatzfähig sein könnte.

Von der im EU-Vertrag enthaltenen Beistandsklausel nicht zu reden: Im Falle eines Angriffs auf ein Mitgliedsland müssten ihn alle anderen unterstützen, heißt es darin. Beim neutralen Österreich müsste diese Unterstützung nicht-militärisch sein. Eine vorsorgliche Debatte darüber, was man sich vorstellen könnte, fehlt jedoch.

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Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at