Träume lebensnotwendig

Das Fenster zur Seele: Warum Träume so wichtig sind & was wir im Schlaf aufarbeiten

Etwa ein Drittel unseres Lebens schlafen wir. Fünf bis sieben Jahre davon verbringen wir auf einer rätselhaften Bühne - dem nächtlichen Traumtheater. Dabei werden wir zum Hauptdarsteller in unserem eigenen Stück. Wir überwinden mühelos Raum und Zeit, sind Held und Gauner zugleich. Aber welchen Zweck haben Schlaf und Traum überhaupt? Schlafen wir, um zu träumen? Oder träumen wir, um zu schlafen? Diese Fragen beschäftigen die Menschen schon seit Jahrtausenden.

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Abenteuer im Kopf - Träume lebensnotwendig

In der Antike galten Träume als Botschaften der Götter. Für Sigmund Freud, den großen Analytiker der menschlichen Seele, waren sie der "Königsweg zum Unbewussten". Die moderne Hirnforschung versucht, das Traumgeschehen mithilfe immer ausgefeilterer bildgebender Verfahren zu entschlüsseln - und tappt dennoch vielfach noch im Dunkeln.

Traumfabrik Gehirn

Fest steht: Das Gehirn ist unsere Traumfabrik, die nie ruht, auch im Schlaf nicht. Während wir träumen, erledigt der Körper viele wichtige Tätigkeiten. So wird nachts die Produktion von Wachstumshormonen aktiviert, das Immunsystem arbeitet auf Hochtouren, das zentrale Nervensystem erholt sich, und das Gehirn verarbeitet alle Signale des Tages. Nach der Einschlafphase fällt die Körpertemperatur langsam, und der Puls sinkt. Die Atmung wird gleichmäßig, und der Körper erreicht die wichtige Tiefschlafphase, in der er sich erholt. Verantwortlich dafür ist die Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die große Mengen Wachstumshormone ausschüttet. Diese reparieren jede Zelle, straffen die Haut, stärken das Immunsystem. Und die Testosteronproduktion beim Mann (bzw. Progesteron bei der Frau) baut Muskeln auf und Fett ab - weshalb zu wenig Schlaf dick macht.

REM-Phasen überlebenswichtig

Unterbrochen wird diese Regenerationszeit von den REM-Phasen. Das sind oft nur wenige Minuten dauernde Zeitspannen, in denen das Gehirn Informationen verarbeitet - wir träumen. Dieser bereits 1953 von US-Schlafforschern entdeckte Traumschlaf wird in den Zentren des primitiven Stammhirns ausgelöst und gelenkt. Dabei bewegen sich zwar die Augen unter den geschlossenen Lidern ebenso rasch wie im Wacherleben ("Rapid Eye Movement" = REM), doch die restliche Muskelaktivität im gesamten Körper ist blockiert. "Dies dient dazu, dass der Schläfer den Traum körperlich nicht ausagieren kann", erklärt Bernd Saletu, Leiter der Schlafforschung am Wiener AKH. Wissenschaftliche Experimente haben die (lebens)wichtige Bedeutung der REM-Phasen nachgewiesen: Ratten, die im Labor um ihren REM-Schlaf gebracht wurden, starben nach zwei bis drei Wochen. "Wenn man bedenkt, dass alle Säugetiere vom Schnabeligel aufwärts einen REM-Schlaf haben, müssen Träume wohl eine besondere evolutionäre Bedeutung haben", gibt Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien, zu bedenken.

Alle Menschen träumen

Wissenschaftlich spricht vieles dafür, dass alle Menschen träumen, auch wenn sich laut einer europaweit durchgeführten Schlafstudie unter maßgeblicher österreichischer Beteiligung nur etwa 40 Prozent regelmäßig an Träume erinnern können. 80 Prozent der Versuchspersonen - sogar jene, die von sich behaupten, niemals zu träumen - können sich sehr lebhaft an ihre Träume erinnern, sofern sie während einer REM-Phase geweckt wurden. In anderen Schlafphasen konnten nur sieben Prozent einen Traum berichten. Interessant ist die Erkenntnis, dass es in REM-Phasen-Träumen vorwiegend um Erlebnisse geht, während in Non-REM-Phasen Gedanken und Ideen im Vordergrund stehen. Ebenso bemerkenswert sind deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Frauen können sich insgesamt viel häufiger an ihre Träume erinnern als Männer, und sie träumen in erster Linie von emotionalen Dingen, wie etwa Familienangelegenheiten. Ihre Träume sind sehr oft in blauen Farbtönen gehalten. In männlichen Träumen dominiert hingegen viel häufiger die Farbe Grau, und es werden darin vor allem sexuelle Dinge sowie Kämpfe am Arbeitsplatz abgehandelt.

Träume willentlich steuern

Traumphasen befreien uns von psychischen Anspannungen. Indem wir träumen, räumt das Hirn auf mit unserem Gedankenmüll, der sich tagtäglich ansammelt. "Träume sind eine Art mentale Verdauung", drückt es Brigitte Holzinger ein wenig drastisch aus. Vielleicht sollte man den Spruch "Träume sind Schäume" in einem anderen Kontext sehen: So als ob wir in einer schäumenden Badewanne liegen würden, reinigt der Traum unsere Seele. Holzinger: "Er ist eine Art Paralleluniversum, in dem sich unsere Realitäten widerspiegeln, abbilden und kommunizieren. Träume dienen der Selbstheilung, der Erweiterung der Identität und Kreativität." Wer das luzide oder Klarträumen beherrscht, kann sogar in seine Träume eingreifen und sie willentlich steuern. Zum Beispiel: vor einer bedrohlichen Figur im Traum nicht mehr davonlaufen, sondern sie anschreien. Es zahlt sich also aus, sich mit seinen Träumen zu beschäftigen "Man sollte sich fragen, welche Gefühlsqualitäten im Traum zum Ausdruck kommen und was das mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte", rät Holzinger. "Denn Träume", so ergänzt Kollege Bernd Saletu, "können uns einiges über uns selbst erzählen. Sie sind das Fenster zur Seele."

Lernen im Schlaf

Eine andere tragende Funktion von Schlaf- und Traumphasen haben Forscher in den vergangenen Jahren entschlüsselt - den direkten Zusammenhang zwischen Schlafqualität und der Verbesserung der Lernleistung. "Im Schlaf scheinen verschiedene Konsolidierungsprozesse abzulaufen, die - abhängig vom REM- oder Tiefschlaf - die Gedächtnisbildung fördern", bestätigt Josef Zeitlhofer von der Universitätsklinik für Neurologie am Wiener AKH die alte Volksweisheit, wonach wir im Schlaf lernen. So werden deklarative Gedächtnisinhalte wie Vokabeln vor allem im Tiefschlaf abgespeichert, während der REM-Schlaf besonders wichtig ist für das Erlernen von visuellen und motorischen Fähigkeiten. Künstler und Sportler berichten ja immer wieder, dass sie in ihren Träumen Trainingsprogramme oder Bewegungsabläufe nochmals durcharbeiten und diese dann auch tags darauf wesentlich besser beherrschen. "Möglicherweise", so das Fazit von Bernd Saletu, "ist Träumen also ein Vor-gang, um Virtuosität aufzubauen."

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