Wir zünden eure Bobo-Bude an!

Gentrifizierung: Wohnen zwischen Wett- und Marktcafés, Bobos und Bordellen

Ursprünglich sollte dies eine Geschichte über die negativen Seiten der Gentrifizierung in Österreich werden. Über die Verdrängung der ärmeren Bewohner aus großstädtischen Viertel durch den Zuzug der wohlhabenderen Bevölkerung. Und über die fragwürdige Aufwertung eines Stadtteils durch das tausendste Hipster-Lokal. Der Haken: Wie sich herausstellte, gibt es keine Gentrifizierung. Zumindest nicht in dieser Form und nicht in Österreich. Und das tausendste Hipster-Lokal entpuppte sich noch dazu als sympathisches Marktcafé. Ganz ohne Hipster.

von Stadtpolitik - Wir zünden eure Bobo-Bude an! © Bild: Tamara Sill

Wien, Rudolfsheim-Fünfhaus: Glaubt man der „Urban Analysis“ des Instituts für Regionalforschung der Uni Wien, so durchlebt der 15. Bezirk gerade einen Imagewandel. Vom ehemaligen Arbeiter- und Rotlichtviertel zum charmanten Multikulti-Grätzel mit „ersten Aufwertungstendenzen“. Im Norden von Rudolfsheim ist davon jedoch nur teilweise etwas zu sehen. Hier gibt es hauptsächlich Ein-Euro-Shops und Kebap-Läden, türkische Lebensmittelmärkte und Diskonter, Wettcafés und auffällig beleuchteten Etablissements. Sie alle sind ein Spiegelbild ihrer Bewohner. Die Ein-Euro-Shops und Wettcafés stehen für den Fakt, dass Rudolfsheim statistisch gesehen der ärmste Bezirk Wiens ist. Die internationalen Gastronomie-Angebote repräsentieren den hohen Anteil an Bezirksbewohnern mit ausländischer Herkunft. Dieser liegt mit 49 Prozent weit über dem Durchschnitt. Lediglich das zur Hälfte sanierte Haus in der Märzstraße könnte zum Teil als „Aufwertungstendenz“ gesehen werden.

© Tamara Sill
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Die Bobos sind Schuld an der Gentrifizierung!

Das Spannende an dem im Westen gelegenen Gemeindebezirk ist, dass er unter seinen Bewohnen ein besseres Image genießt als unter den Nicht-Bewohnern. Das Gegenteil ist wohl in der Gegend rund um dem Yppenplatz der Fall. Dieser ist als der Hipster-Treffpunkt der Stadt bekannt – nicht zur Freude aller, wie sich am Spruch „Wir zünden eure Bobo-Bude an“, der mit Farbe an die Wand eines Lokals gesprüht wurde, erkennen lässt. Die „Bobos“, die Bourgeois Bohemians, sind es angeblich auch, die an Gentrifizierung Schuld sind. Durch ihren Zuzug in eher heruntergekommene Stadtteile sowie ihrer hohen Kaufkraft tragen sie dazu bei, dass alte Wohnhäuser saniert und im Viertel Aufwertungsmaßnahmen initiiert werden. Diese Stadtteile werden schnell zu neuen hippen Ausgehviertel und zum Zuhause einer wohlhabenderen Wohnbevölkerung. Dadurch steigen jedoch die Mieten, was zur Verdrängung der ursprünglichen Bewohner und der zuvor dagewesenen Lebensweise führt.

Beginnende Gentrifizierung im Süden?

Laut goodnight.at, dem digitalen Stadtmagazin für Wien zählt die Reindorfgasse im Süden des 15. Bezirks bereits zu den Geheimtipps der Stadt: „ Noch sind die Mieten günstig, doch die Wiederbelebung ist im vollen Gange: Neben den altehrwürdigen Cafés etablieren sich immer mehr hippe Geschäfte.“ Rund um die Reindorfgasse findet mit drei Blocksanierungen gerade die größte Sanierungsinitiative Wiens statt. Währenddessen sind zahlreiche Unternehmerinnen und Akteurinnen damit beschäftigt, dem nahe gelegenen Schwendermarkt zu einem Neustart als Grätzeltreffpunkt zu verhelfen. Alles Anzeichen für eine beginnende Gentrifizierung? „Nein!“, meint Nina Strasser, Mitbegründerin des neu eröffneten Marktcafés „Landkind“ am Schwendermarkt.

© Landkind

Die Gentrifzierungs-Keule

„Mich ärgert, dass immer, wenn im Grätzel etwas passiert, gleich dieses Schlagwort kommt.“, sagt Nina. „Ich denke mir, wenn es so viel Leerstand gibt und dann Leute kommen, die coole Ideen haben und diese mit viel Einsatz in ihrer Freizeit umsetzen, ist das doch super!“. Der Wunsch die Nachbarschaft aktiv mitzugestalten und somit zur Wiederbelebung des Schwendermarktes beizutragen, ließ sie zusammen mit ihrem Bruder Benedikt das „Landkind“ eröffnen. In ihrem kleinen Café mit integriertem Bauernladen bieten die beiden ehemaligen Steirer feinste, regionale Produkte vom Land an. Gekocht wird mit den Zutaten von benachbarten Marktstandlern. Und mit viel Liebe.

© Landkind

Landkinder, die die Stadt verändern

So unterschiedlich wie die Produkte, die sie anbieten, sind auch ihre Gäste. Nina führt dies auf die Gegend zurück. „Hier kommt alles zusammen. Im Viertel wie auch bei uns im Café.“, erklärt sie. „Die Frühstücksrunde älterer Damen, Mütter und Väter mit ihren Kindern, Kreative genauso wie der Inhaber des türkischen Geschäfts gegenüber.“ Dass das Miteinander gerade in dem Bezirk mit dem höchsten Migrationsanteil funktioniert, scheint genau an dieser bunten Durchmischung von vielen verschiedenen Kulturen zu liegen. So kann es schon einmal vorkommen, dass türkische Nicht-Christen beim Aufbau des Christkindlstandes mitanpacken, wie Benedikt erzählt. Von Bevölkerungsschichten, die verdrängt werden, keine Spur.

»„Hier kommt alles zusammen“«

Das deckt sich auch mit der Aussage des Bezirksvorstehers Gerhard Zatlokal: „Ziel unserer Politik ist es, dass eine vernünftige soziale und wirtschaftliche Durchmischung der Bevölkerung stattfindet. Eine unterschiedliche Bewohnerstruktur ist wesentlich, um sozialen Frieden gewährleisten zu können.“ Zatlokal erklärt, dass Verbesserungen im öffentlichen Raum nicht vom Zuzug einkommensstärkerer Personen abhängig seien, sondern einfach notwendige Maßnahmen einer sanften Stadterneuerung darstellen: „Unsere Bemühungen den Bezirk weiter zu verbessern, attraktiver zu gestalten, muss nicht unbedingt zu einer Verdrängung der ärmeren Bevölkerung führen.“ Die Hypothese dieses Beitrags, nämlich dass Gentrifizierung viel Negatives mit sich bringt, beginnt langsam zu bröckeln. Zeit, das nächste Argument aufzuwerfen: Steigende Mieten.

Und die hohen Mieten?

Die Aufwertung eines Bezirkes ist per se nichts Schlechtes, im Gegenteil. Wären da nicht die steigenden Mieten. Doch ist das auch in Rudolfsheim der Fall? Es muss fast so sein, schließlich wurde hier in der letzten Zeit 18 Blocksanierungen durchgeführt. Bezirksvorsteher Zatlokal verneint dies. Für viele Sanierungen gab es Förderungen, damit sind die Mieten zumindest bis zum Ende der Förderungen gedeckelt. Die Einkommensstatistik, bei der Rudolfsheim nach wie vor am letzten Platz liegt, bestätigt Zatlokal in seiner Wahrnehmung der gleichbleibenden Mietpreise und der somit nicht vorhandenen Gentrifizierung.

Das sieht auch Nina so. „In Österreich gibt es ein relativ strenges Mietrecht und guten Mieterschutz. Wir wohnen bereits seit sechs Jahren hier, unser Vermieter könnte nicht einfach sagen „Ah das ist jetzt ein cooles Viertel, deshalb erhöhe ich die Miete“. Nicht so ist es beispielsweise in London, hier ist der Standardvertag ist ein einjähriger Mietvertrag, danach wird die Miete erhöht. Immer. Gentrifizierung hat dort demzufolge eine viel stärkere negative Auswirkung auf die Wohnpreise und somit auch auf die Verdrängung der ärmeren Wohnbevölkerung.

Aber in Wien? Keine Mietpreiserhöhungen. Keine Verdrängung. Keine Gentrifizierung. Zumindest noch nicht.

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