Das hässliche Wien

Eugene Quinn zeigt die Stadt von ihrer schlechtesten Seite. Wienerischer geht nicht.

von Leopoldgasse 39, Haus der Zeit © Bild: Maddy French

Was ist die Idee hinter der Tour "Hässliches Wien"?

Eugene Quinn: Wir denken, dass Wien weitaus interessanter ist, als sein internationaler Ruf. Viele Besucher erwarten sich von dieser Stadt, sie sei ein einziger Walzer tanzender Schokoladekuchen. Wir möchten eine coolere, zeitgemäße und humoristische Version zeigen. Unsere Tour ist eine surreale Zelebrierung von verrückten architektonischen Fehlern und Modeerscheinungen. Genau wie Conchita die Regeln bricht, als Transvestit mit Bart, möchten wir die schönen Seiten meiden und stattdessen nur die schlechten zeigen. Das macht unglaublichen Spaß.

Space and Place
© Space and Place

Wer geht lieber mit: Österreicher oder Touristen?

Wien steht in diesem Jahr im Zeichen des "Zu-Fuß-Gehens" und wir wollten die Wiener zu Touristen in ihrer eigenen Stadt machen. Den ersten Bezirk aus einer neuen Perspektive betrachten, abseits der Klischees. Die meisten der Tourgänger sind demnach Wiener (und viele davon Architekten!), aber nachdem in Englisch gesprochen wird, waren auch schon Israelis, Engländer, Italiener und Chinesen dabei. Ein guter Mix. Viele Wiener sind von der Schönheit ihrer Stadt gelangweilt und würden keine Tour durch Barockgärten oder elegante Palais mitmachen. Aber ein Event wie dieser passt gut zu der Faszination der Wiener für den Tod, den Verfall und die dunkle Seite. Von Freud bis hin zu Ulrich Seidl - hier weiß man, wie man Melancholie stylisch inszeniert.

Warum sollte die Hässlichkeit einer Stadt faszinieren?

Es gibt keiner Professoren der Hässlichkeit. Wer kann schon entscheiden, welche Gebäude gut oder schlecht aussehen? Wir wollten eine Debatte anzetteln, keine beenden. Wenn jemand ein Buch schreibt, kann man entscheiden, es nicht zu lesen. Dasselbe gilt für ein neues Restaurant - Sie müssen dort nicht essen. Aber bei Architektur ist es etwas anderes. Wir müssen uns diese Gebäude jeden Tag ansehen, also haben Designer die Verantwortung, uns schöne Dinge zu bauen. Manche Städte würden niemals eine Tour zu den hässlichsten Gebäuden machen, aus dem einfachen Grund weil es zu lange dauern würde. Jeder weiß, dass Wien wunderschön ist, also können wir auch eine Tour unserer schlechtesten Architektur machen, wissend, dass wir dabei auch viele liebenswerte Konstrukte passieren werden, weil die Stadt voll davon ist. Wir diskutieren währenddessen auch die Gentrifizierung, die UNESCO, die Stadtplanung, die Rolle der Medien und gierige Bauunternehmer.

5 der hässlichsten Gebäude Wiens

1. Flaktürme im Augarten

Eugene Quinn: So wie Mick Jagger und Janis Joplin sind sie schön und hässlich zugleich. Eine Macho-Architektur von einem Baufachmann, der auch Autobahnen entworfen hat, und eine Peinlichkeit für manche Anwohner. Die einzigen Nazi-Gebäude Wiens. Sie kommen in den offiziellen Touren nicht vor, was ein Fehler ist. Sind wurden nicht vervollständigt, weil dafür Marmor verwenden werden sollte, und sie wurden niemals gebraucht, nachdem der Krieg verloren war, ehe die Türme fertig gestellt werden konnten. Augarten am Gaußplatz 11, 1020 Wien

2. Das Haus der Zeit

Space and Place
© Space and Place

Eugene Quinn: Verrückt, dass die Stadtverwaltung diesen Wahnsinn durchgehen lassen hat. Sie würden nicht glauben, zu welchen Gebäuden sonst "Nein" gesagt wird. Es ist wie eine öffentliche Therapie, bei der in jedem Stockwerk eine andere ehemalige Geliebte des Künstlers gezeigt wird. Es steht bereits seit fünf Jahren zum Verkauf und hat sogar eine eigene Facebook-Seite. Schönheit kann ja so langweilig sein - denken Sie nur an Stockholm, Angelina Jolie oder Monets Kunst - aber Hässlichkeit ist niemals langweilig. Leopoldgasse 39, 1020 Wien

3. Collegium Hungaricum Ungarisches Kulturinstitut

Eugene Quinn: Wenn es nach der Website des Kulturzentrums geht "zitiert es die ungarische konstruktivistische Tradition und ist für viele Wiener ein Anziehungspunkt am Donaukanal". Nun, jetzt vielleicht. Dieses Gebäude ist geschäftig, laut, selbstgefällig, stolz und längst nicht so wichtig, wie es gerne wäre. Wenn es eine Person wäre, wäre es Wladimir Putin. Wenn es im Kalten Krieg entstanden wäre, könnte man es als hässliches "Geschenk" dieser Dekade ansehen, des bourgeoisen Westen. Aber es ist ein ernst gemeintes Statement der ungarischen Architektur um die Jahrhundertwende. Hoppala. Es wurde 1999 gebaut, aber sieht aus wie ein ungemütlicher Mix aus den 1920er und 80er Jahren. Gustav Mahler sagte einst, wenn jemals die Welt untergehen sollte, würde er nach Wien gehen, denn da passiere alles erst zehn Jahre später. Hollandstrasse 4, 1020 Wien

collegium hungaricum
© collegium hungaricum

4. Media-Tower (auch News-Tower)

Eugene Quinn: Das Zuhause des News Verlags. Viele Leute empfinden den Schwedenplatz als den grauslichsten Platz der inneren Stadt, aber das wirkliche Verbrechen wurde gegenüber am Donaukanal begangen. Dieses Gebäude scheint sieben verschiedene Architekten zu haben, die sich kein einziges Mal miteinander abgesprochen zu haben scheinen und viele verschiedene Ideen davon zu haben scheinen, was sie damit sagen wollen. Es sieht aus, als hätte es Krebs mit extra Geschwüren, wo es keine haben sollte. Es ist gewalttätig. Und es scheint rüber zur Taborstraße zu greifen, um das viel schönere und hippe Sofitel von Stararchitekt Jean Nouvel zu küssen. War das ein guter Tag im Büro für die Architekten? Was genau wollten sie Wien mit dieser Struktur sagen? Taborstraße 1-3, Obere Donaustraße 103, 1020 Wien

Media Tower Wien
© Wikicommons/darkweasel94

5. Macht zu Lande, Michaelertrakt

Eugene Quinn: Dies ist von demselben Bildhauer wie das Johann Strauß Denkmal. Was für ein Name für eine Statue! Viel eher schlechte politische Kunst - beziehungsweise pure Propaganda. Wer sind die unterlegenen Menschen, die hier sterben? Vermutlich die Habsburger Feinde der Zeit: England, Italien und Russland. Kaiser Franz Joseph soll die Vorhänge der Fenster der Hofburg zuziehen haben lassen, damit er das Looshaus nicht mehr sehen musste, aber heute ist es viel eher so, dass die Leute, die in dem Jugendstilhaus wohnen, die Fenster am liebsten zunageln würden, um dieses grobe, aggressive, geschmacklose, dumme Gebilde im Nachbarhaus nicht mehr ertragen müssen. Das Habsburger Äquivalent zu Gartenzwergen. Wofür genau soll dieser Betonklotz stehen? Hofburg, 1010 Wien

Brunnen Die Macht zu Lande
© Wiki Commons/ Hans Weingartz
Brunnen Die Macht zu Lande
© Wikicommons/Bwag

Eine Liebeserklärung an die entspannte Weltstadt Wien lesen Sie im aktuellen News in Ihrem Zeitschriftenhandel oder als E-Paper-Version.

Kommentare

Oberon
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Wow, dieser user hat hellseherische Fähigkeiten, denn er wusste bereits am 23.Mai, dass Wochen
später dieser Artikel erscheint. Oder habt ihr ihn etwa aus dem virtuellen Nirwana hervor geholt, in der irrigen Hoffnung, eure einfachen(?) user merken es nicht?! ;-)

Frustriert melden

:-))))
Ich schwöre, ich bin nicht mehr hellseherisch begabt als alle anderen Menschen!
Allerdings war ich jetzt auch ziemlich erstaunt, diesen alten Artikel wieder zu finden. Saure-Gurken-Zeit? Klar, es ist August und die Parlamentarier haben Ferien. Soll nix Schlimmeres passieren.
Ich bin übrigens auch eine UserIN. Sozusagen ein Mensch wie Herr Stronach. Oje. :-)

Oberon
Oberon melden

Keine Hellseherin? Na dann... :-) Das ist so eine Sache mit der Saure-Gurken-Zeit. Auch wenn unsere Politiker derzeit ihre Patschen strecken, tut sich doch genug in Ö, aber diese Nachrichten passen halt nicht zur Blattlinie von NEWS.

Doch, eine solche Tour würde ich auch gerne mitmachen. Wobei man über Geschmäcker bekanntlich nicht streiten kann. Die Statue in der Hofburg gefällt mir nämlich ganz gut. Die Flaktürme hingegen finde ich scheußlich und abschreckend. Die Wirkstätte von News (sorry, liebe Redaktion, ihr könnt nichts dafür!) finde ich irgendwie - äh - dings.

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