Die Akte Eurofighter

Minister Doskozil hat die Flugzeugfirma Airbus angezeigt. Unterlagen, die News exklusiv vorliegen, offenbaren, mit welchen Argumenten die Republik nun mehr als eine Milliarde Euro einfordern will. Fast 15 Jahre nach dem Jet-Deal ist das Thema Eurofighter aktueller denn je.

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Jet-Deal - Die Akte Eurofighter

Es war für alle acht Beteiligten sicher kein entspannter Termin. An einem Freitagvormittag im November 2013 traf sich ein ungewöhnlicher Personenkreis in der oberbayerischen Gemeinde Ottobrunn. Unter ihnen war niemand Geringerer als Thomas Enders. Enders ist Vorstandsvorsitzender der Airbus Group, eines der größten Luftfahrt-und Rüstungskonzerne der Welt. "Major Tom", wie der ehemalige Fallschirmjäger auch ehrfürchtig genannt wird, kommandiert mehr als 130.000 Mitarbeiter. Und wenn ausgerechnet der Oberboss zu einem Gespräch mit internen Ermittlern gebeten wird, weiß man, dass es sich nicht um Jux und Tollerei handelt.

Enders kam damals gleich mit drei Rechtsanwälten zum bayerischen Firmensitz der EADS Deutschland GmbH, die heute Airbus Defence and Space GmbH heißt und zur Airbus Group gehört. Und er sah sich drei Mitarbeitern der Anwaltskanzlei Clifford Chance gegenüber, die von EADS beauftragt worden war, "Fact Finding" in Bezug auf den Verkauf von Eurofighter-Kampfflugzeugen an die Republik Österreich im Jahr 2003 durchzuführen.

"Project Ina" lautete der Codename für diese internen Ermittlungen. Clifford Chance legte einen großen Abschlussbericht vor, über den News mehrfach berichtet hat. Und es sind nicht zuletzt auch dieser Bericht sowie seine Protokolle und Beilagen, die die "Task Force Eurofighter" im Verteidigungsministerium in Wien in den vergangenen Monaten akribisch durchforstet hat.

Letztlich wurde die Task Force offenbar fündig. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil von der SPÖ hat am Donnerstag eine Betrugsanzeige gegen die Airbus Defence and Space GmbH und gegen die Eurofighter Jagdflugzeug GmbH bei der Staatsanwaltschaft Wien einbringen lassen. Beide Firmen waren laut Task Force in den Jet-Verkauf an Österreich involviert. Die Republik Österreich schloss sich als Privatbeteiligte an und fordert vorerst bis zu 1,1 Milliarden Euro Schadenersatz.

Die Strategie des Ministers

Aber wie will Doskozil die Milliarde zurückholen? Um das zu verstehen, muss man die Akten kennen. Und eines der Papiere, das die Task Force sicher ganz genau unter die Lupe genommen hat, ist jene Zusammenfassung, die Clifford Chance über das Gespräch mit Tom Enders angefertigt hat und die News vorliegt.

Möglicherweise ist den Ermittlern des Verteidigungsministers dabei ein - an sich unscheinbarer -Satz ins Auge gestochen: "Aus seiner Sicht seien die Zahlungen nach dem Offset Transfer Agreement als Vergütung für die Abwicklung der Gegengeschäftsverpflichtungen bestimmt gewesen", zitiert Clifford Chance Enders. Das klingt unspektakulär. Wenn man aber weiß, dass die erwähnten Zahlungen 183,4 Millionen Euro ausgemacht haben und Doskozils Mannschaft die Betrugsanzeige genau auf diese 183,4 Millionen Euro stützt, klingt es gleich ganz anders.

Kernvorwurf ist, dass die Eurofighter- Firmen diesen Betrag gegenüber der Republik offenlegen hätten müssen, es aber nicht getan hätten. Im Verteidigungsministerium verweist man darauf, dass bereits in den ersten Ausschreibungsunterlagen eindeutig gefordert worden sei, die Kosten für die Abwicklung sogenannter Gegengeschäfte -englisch "Offset" - gesondert auszuweisen.

Gegengeschäfte sind einer der umstrittensten Faktoren bei großen Rüstungsdeals, nach dem Motto: Wir kaufen deine teuren Flugzeuge, dafür kümmerst du dich darum, dass Unternehmen in unserem Land Aufträge bekommen. Die Idee klingt gut. Das Problem liegt mitunter in der Ausführung. Die Firma Eurofighter verpflichtete sich jedenfalls dazu, der österreichischen Wirtschaft Gegengeschäfte von vier Milliarden Euro zu vermitteln. Den Großteil dieser Verpflichtung trat sie Ende 2004 an EADS Deutschland ab und zahlte dafür die erwähnten 183,4 Millionen Euro. Enders' Aussage ist nur einer von vielen Hinweisen in den Akten, dass EADS tatsächlich intern diesen Betrag für die Gegengeschäftsabwicklung vorgesehen hatte.

Ob das jemals gegenüber der Republik offengelegt wurde, kann News nicht letztgültig nachvollziehen. Airbus gab auf Anfrage dazu keine konkrete Stellungnahme ab. Warum soll das so wichtig sein? Ganz einfach: Wenn Österreich -nach einer späteren Stückzahlreduktion -rund 1,7 Milliarden Euro für Flugzeuge bezahlt, der Hersteller aber 183,4 Millionen Euro davon für etwas völlig anderes einkalkuliert, könnte man meinen, dass die Flieger tatsächlich weniger wert waren. Das ist die Argumentation im Ministerium: Hätte man das gewusst, hätte man nicht Eurofighter gekauft, sondern die im Betrieb billigeren Gripen-Abfangjäger von Saab.

Betont sei, dass gegen Airbus-Konzernchef Enders, der ab dem Jahr 2000 hohe Managementfunktionen bei EADS innehatte, keine Vorwürfe vorliegen und auch nicht gegen ihn ermittelt wird. Die internen Ermittler von Clifford Chance haben nicht nur ihn befragt, sondern zum Beispiel auch eine frühere Managerin von EADS Military Aircraft. Der Zusammenfassung zufolge, die News vorliegt, "erklärte Frau Dr. H., die sogenannten Offset-Kosten seien natürlich ein Element in der Kalkulation des Eurofighter-Kaufpreises gewesen".

Begonnen hatte man demnach mit 96,4 Millionen Euro. Letztlich wurden es aber 183,4 Millionen Euro, was einer internen Kalkulation von 2007 auch so zu entnehmen ist (siehe Faksimile). Wie war der Anstieg zu erklären? Dazu meinte Frau Dr. H., das wisse sie nicht.

Aussagen wie diese machen hellhörig. Dazu kommt, dass die Staatsanwaltschaft, die seit 2011 in Zusammenhang mit den Gegengeschäften ermittelt, über die Jahre zahlreiche Auffälligkeiten zusammengetragen hat. Dreh-und Angelpunkt ist die Firma Vector, über die Geld in ein System aus Briefkastenfirmen geflossen sein soll. Ermittlungsergebnissen zufolge dürfte EADS praktisch gleichzeitig mit der Übernahme der Gegengeschäftsverpflichtung von Eurofighter den Großteil davon an die nur wenige Monate vorher gegründete Vector übergewälzt haben. Und dafür sollen über die Jahre rund 114 Millionen Euro an Vector gegangen sein. Chef war der Italiener Gianfranco Lande, der später in Italien in anderem Zusammenhang wegen Anlagebetrugs zu mehreren Jahren Haft verurteilt wurde.

Wenn bei der Präsentation des Task-Force-Berichts am Donnerstag vom "dubiosen und kriminellen Vector-Netzwerk" die Rede war, findet man die Erklärung dafür zum Beispiel in einem Teilbeschluss des Landesgerichts Wien vom Oktober 2014. Diesem zufolge, hegen die Ermittler den Verdacht, dass EADS mit Vector einen "Scheinvertrag" geschlossen habe, der "die Grundlage war, Millionenbeträge an Vector zu verschieben". Der Großteil der 114 Millionen Euro sei an Briefkastenfirmen an Offshore-Destinationen weiterverteilt worden. Im Gerichtsbeschluss heißt es in Bezug auf einen Teil des Geldes, dieses habe als Schmiergeld oder für Kickback-Zahlungen dienen sollen. Bezahlt haben das - früheren Ausführungen der Ermittler zufolge - die österreichischen Steuerzahler. Diese hätten einen höheren Preis für die Kampffl ugzeuge in Kauf nehmen müssen.

Airbus bestreitet Vorwürfe

Doskozil fährt beim Versuch, die Milliarde zurückzuholen, aber noch eine zweite Schiene. Seine Experten orten nämlich nicht nur bei den Gegengeschäftskosten Betrugsverdacht. Sie behaupten auch, Eurofighter wäre gar nicht in der Lage gewesen, die technisch entsprechenden Flugzeuge zum vereinbarten Zeitpunkt zu liefern. Auch dazu steuert Frau Dr. H. spannende Hinweise bei. Clifford Chance hat ein Memorandum von ihr gefunden, das sie im Juli 2007 erstellt hat, nachdem man sich mit dem damaligen Verteidigungsminister Norbert Darabos auf eine Stückzahlreduktion und einige andere Änderungen im Gegenzug für eine Kaufpreissenkung geeinigt hatte. In einer ersten Einschätzung erkannte die Firma offenbar einen Vorteil darin, dass nun keine -technisch fortgeschritteneren -"Tranche 2"-Flieger mehr vorgesehen waren und das Risiko einer verspäteten Lieferung damit verschwunden sei (siehe Faksimile Seite 24). Offenbar hatte man sogar eine Rückstellung gebildet. Nun rechnete man mit einem Verbesserungspotenzial von 40 bis 50 Millionen Euro. Ob man Darabos das offenlegte, blieb auf Anfrage unbeantwortet.

Allgemein erklärte Airbus, man sei überrascht von Medienberichten über eine Strafanzeige und Rückforderungen: "Uns liegt weder die Strafanzeige noch irgendeine andere Information zu diesem Sachverhalt und den Vorhaltungen des Ministeriums vor." Man sei weder vom Ministerium über die Vorwürfe informiert, noch zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Die Vorwürfe -insbesondere Unterstellungen bezüglich Arglist und Betrug - seien für Airbus nicht nachvollziehbar: "Sie erscheinen konstruiert und wir weisen sie in aller Deutlichkeit zurück." Airbus vermutet "ein politisches Manöver". Man werde aber selbstverständlich wie bisher die österreichischen Behörden aktiv bei der Aufklärung von Verdachtsmomenten unterstützen.

Was tatsächlich unangenehm werden könnte, ist die Ankündigung der Task Force, auch Schritte nach angloamerikanischem Recht in den USA und in Großbritannien prüfen zu wollen. Eine Rechtsanwaltskanzlei aus New York ist jedenfalls schon an Bord.