Flüchtlinge an Bord

Wie die Mafia Flüchtlinge auf Luxusyachten nach Europa schleppt

Finanzkräftige Flüchtlinge haben eine neue Route nach Europa gefunden. Auf Luxusyachten versuchen sie, in die EU zu gelangen. Die Grenzschützer von Frontex stellen sich dagegen. News war mit an Bord eines Militärschiffes

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© Video: News.at/Ricardo Herrgott/Beatrix Hammerschmied

Das Meer ist natürlich azurblau. Die Frauen tragen Bikinis. Die Männer teure Sonnenbrillen. Es ist Abend an Bord einer Segelyacht. Der Himmel färbt sich golden, das Wasser schimmert, die Yacht glänzt. An Deck wird Wein kredenzt. Menschen lachen. Sie kosten jeden einzelnen Augenblick aus. So sieht es zumindest der Yachthersteller, der eines seiner besten Stücke derart in einem Werbevideo anpreist. Und die Szenen verfehlen ihre Wirkung nicht. Das muss Luxus sein, denkt man. Eine zwölf Meter lange Yacht, drei Kabinen, darin edles Leder, gepaart mit feinem Mahagoniholz, zu einem Preis, der erschaudern lässt.

© Ricardo Herrgott

Auf dem Kriegsschiff

Kapitän Robalo Franco bekommt ein Foto gereicht. Darauf ist genau diese Yacht aus dem Werbevideo zu sehen. Mitten auf See und in voller Fahrt. Franco steht auf der Brücke eines Kriegsschiffes. Vor ihm liegt das Mittelmeer, hinter ihm die süditalienische Küste. Er befehligt die "NRP Tejo", ein Patrouillenboot der portugiesischen Marine. Yachten wie die auf dem Foto kennt er. Sie liegen sonst in den mondänen Häfen dieser Welt vor Anker. Geschmückt mit den Flaggen der Steuerparadiese: Antigua, Barbados, Cayman Islands -quasi dem ABC der Hautevolee.

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Doch auf Francos Luftbild ist alles anders. Er erkennt, dass die Yacht keine Segel gesetzt hat, sondern mit dem Motor fährt, was gewöhnliche Urlauber bei Prachtwetter nur selten tun. Er sieht auch, dass sich an Deck der Yacht viele Menschen tummeln. Franco zählt sie durch. Einmal. Dann, zur Sicherheit, ein zweites und drittes Mal. Er kommt auf sechzehn Männer. "Normalerweise hat so eine Yacht Platz für sechs Personen", sagt Franco. "Sind acht an Bord, wird es schon verdammt eng." Er mustert die Männer auf dem Foto. Sie sind jung. Manche scheinen sich zu verstecken, wegzuducken vor dem Flugzeug, aus dem das Foto geschossen wurde. Kapitän Franco hat genug gesehen. Er gibt Befehl, in Richtung der Yacht zu steuern. Die "Tejo", vierundfünfzig Meter lang, dreihundert Tonnen schwer und mit einer Kanone am Bug, nimmt Fahrt auf.

Sterben oder gerettet werden

Italien im Sommer 2017. In den TV-Nachrichten überschlagen sich die Ereignisse. Monatelang flimmerten Bilder aus den Häfen über die Schirme. Sie zeigten Migranten, die im Süden des Landes von Schiffen stiegen. Tausende und Abertausende von ihnen, meist schwarz und meist männlich. Es sind keine Kriegsflüchtlinge aus Syrien oder dem Irak mehr, sondern Menschen aus Afrika. Sie haben die Wüste durchquert, Libyen im Chaos überlebt und sind in überfüllte Boote gestiegen, um darin entweder zu sterben oder gerettet zu werden. 97.892 Ankünfte zählte Italiens Innenministerium allein seit Jahresbeginn.

Italiens Kontrollverlust

Hilfsorganisationen, die mit ihren Schiffen die Migranten bargen, wurden bald beschuldigt, so viele von ihnen erst zur gefährlichen Überfahrt zu bewegen. Manche der NGOs gerieten zudem unter Verdacht, gar mit den Schleppern in Libyen zu kooperieren. Derweil versuchte Europas Politik verzweifelt, im libyschen Chaos jene Machthaber zu finden, die die Boote stoppen könnten. Denn allen ist klar, dass sich der Sommer 2015, die Zeit der unkontrollierten Massenzuwanderung, nicht wiederholen darf. Und auch Rom realisierte, dass es mit jeder weiteren Ankunft näher an den Kontrollverlust gerät. Robalo Franco, der Kapitän der "Tejo", kennt all diese Diskussionen.

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Sie sind der Grund, warum er sein portugiesisches Militärboot überhaupt vor Italiens Küste steuert. An Bord befehligt er 28 Mann. Hinzu kommen acht schwer bewaffnete Elitesoldaten in schwarzen Tarnanzügen. Sie alle sind Teil der Operation "Triton". Gestartet 2014 von der EU-Grenzschutzagentur Frontex, ist es eine Mission, an der sich 27 Länder beteiligen, die 15 Boote, drei Flugzeuge und zwei Helikopter stellen. Auch Österreich steuert fünf Polizisten bei, die bei der Identifikation und Registrierung von Flüchtlingen helfen. Ging es bei der Vorgängermission der italienischen Marine noch vornehmlich darum, Migranten in Seenot zu retten, stehen nun der Schutz der Grenzen und die Jagd auf Schlepper im Vordergrund. So soll Italiens Küstenwache entlastet werden, da sie der schieren Zahl der ankommenden Migranten kaum noch gewachsen ist.

Martialisches Meer

Auf der Brücke der "Tejo" herrscht professionelle Anspannung. Das Schiff ist in der Hitze des Nachmittags aus dem süditalienischen Hafen Brindisi ausgelaufen. Nun steuert es mit sechzehn Knoten und Kurs Südost durch die Adria. Ziel der Patrouille ist es, Schlepper zu stoppen. Und so kommt das Bild der Luxusyacht ins Spiel.

Zwei Jahre ist es her, als sich die Fahnder das erste Mal verdutzt die Augen rieben: Flüchtlinge, die per Yacht kommen. So etwas hatten sie zuvor noch nie gesehen. Während Abertausende in wackeligen Kähnen und Schlauchbooten ihr Leben riskierten und Hunderte dabei ertranken, hatten einige mit entsprechender Barschaft einen anderen Weg gefunden. Einen, der weit weniger Verdacht erweckt, die Geschleppten aber bei Gelingen unbehelligt an Italiens Küste von Bord gehen lässt. So, als seien sie ganz normale Passagiere, so, als wäre die Welt so grenzenlos, wie sie nur für jene ist, die sonst solche Yachten besitzen.

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Seither gab es weitere Aufgriffe, neun beschlagnahmte Yachten, fünf Motorboote und 1.123 Illegale, die auf diesem Weg versucht hatten, in die EU zu gelangen. Ermittler begannen, zu recherchieren, Netze zu spannen, ein kriminelles Kartell zu identifizieren. Aus Einvernahmen erfuhren sie, dass die Geschleppten 7.000 Euro und mehr pro Kopf und Fahrt bezahlen. Auf Facebook fanden sie Seiten, auf denen die Schleppermafia sogar dreist die neue, sichere und etwas angenehmere Art der Reise nach Europa anpries. Und bald war ihnen auch klar, von wo die Yachten ablegten.

Das Herz der Mafia

Schauplatz Çeşme, ein beschauliches Städtchen an der türkischen Ägäisküste. Izmir, die Millionenstadt, ist nicht weit weg. Dort, in den engen Gassen, zwischen den Teehäusern und kleinen Kaschemmen rund um den Basmane-Bahnhof, laufen die Fäden zusammen. Für Schlepper glich der Ort lange einem Paradies, von dem sie fast eine Million Menschen auf die nahegelegenen griechischen Inseln beförderten. Erst als die EU mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan 2016 einen Pakt schloss, der die Flüchtlinge aufhalten sollte, begann ihr Business zu versiegen.

Wer weiterhin die Überfahrt antrat, strandete auf den griechischen Inseln und landete in den dort eingerichteten Hotspots. Chios und Lesbos waren zur Sackgasse geworden. Von dort drohte den Geflohenen nur eins: die Abschiebung zurück in die Türkei.

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Doch was wäre die Mafia, wenn sie keine Einfälle hätte und nicht neue Wege fände, weiter ihrem Geschäft nachzugehen? Und was wären jene, die viel Geld haben, wenn sie dies nicht nützten, um doch noch nach Europa zu gelangen? Koste es, was es wolle. Reiche Syrer, Iraker oder Afghanen wurden so zu den ersten Kunden der Segeltörns unter Schlepperfahne.

Gangster des Krieges?

Türkische Banden organisieren die Yachten, chartern sie für ein paar Wochen, bezahlen bar und so, dass kein Grund zu Nachfragen besteht. Sie interessieren sich auch nicht, woher ihre Passagiere das viele Geld für die Überfahrt nehmen. Sind es Verbrecher, Gangster des Krieges, die das Leid anderer erst reich gemacht hat? Vielleicht Islamisten, die sich aus der IS-Kassa bedienten, um sich nach Europa zu schleusen? Oder einfach die letzten Wohlhabenden, die ihre Länder nun spät, aber doch für immer verlassen? Keiner kann sagen, wer kommt und mit welchem Plan.

»Das Meer ist riesig, die Kontrolle schwierig und unser Gegner die Mafia. Ohne Kooperation aus der Luft wären wir ohne Chance«

Das portugiesische Patrouillenboot "Tejo" fährt daher seit Stunden im Windschatten der Yacht. Auf dem Radar kann Kapitän Franco deren Kurs verfolgen. Das AIS, ein automatisches Informationssystem, liefert ihm ständig Daten zur Geschwindigkeit des Bootes. Zwei weitere Frontex-Schiffe befinden sich im Umkreis. Sie haben die Yacht in die Mangel genommen. Mehr als vierundzwanzig Stunden sind vergangen, seit das spanische Überwachungsflugzeug die Yacht erstmals im Meer ausgemacht hatte und jene Fotos schoss, die Franco bekam. "Das Meer ist riesig, die Kontrolle schwierig und unser Gegner die Mafia. Ohne Kooperation aus der Luft wären wir ohne Chance", sagt er.

© Ricardo Herrgott

Per Funk forderte Franco die Yacht zum Anhalten auf. Doch keinerlei Reaktion. Das Boot, das in der Türkei abgelegt hat, dürfte schon mindestens sechs Tage auf See sein. In der Vergangenheit dockten die Yachten auch in Griechenland zu Zwischenstopps an und nahmen weitere finanzkräftige Flüchtlinge auf. Die Schlepper hingegen blieben unbehelligt und verfolgten aus der Ferne, wie ihre Yachten im Mittelmeer kreuzten und Kurs auf Italien nahmen. Als Steuermänner dienten ihnen Ukrainer. Erfahrene Seemänner, die die Krise in ihrer Heimat arbeitslos gemacht hat. In Einvernahmen behaupteten sie, dass die türkische Mafia sie zu den Fahrten gezwungen habe und ihre Familien in der Ukraine bedrohte. Ob das als Ausrede dient, um die Gier nach leicht verdientem Geld zu rechtfertigen oder die eigene Verzweiflung zu kaschieren, lässt sich schwer sagen. Klar ist nur, dass viele der Trips erfolgreich gewesen sein müssen, da sonst das Geschäftsmodell schon längst verschwunden wäre.

Ende eines Yachttrips

Doch nicht diesmal. Vom portugiesischen Patrouillenboot verfolgt, von Italiens Küstenwache überwacht und von der Präsenz der Grenzschützer überrascht, steuert die Yacht nach 36 Stunden Jagd in die Zwölfmeilenzone und damit in italienisches Gewässer. Erst jetzt wird ein Zugriff möglich. Sondereinheiten sind trainiert darauf, Boote zu entern. Sie haben Gewehre, Nachtsichtgeräte und alles, was es braucht, um sich der Mafia in den Weg zu stellen. Nun stürmen sie die Yacht. In dem Schiff, das für maximal acht Personen ausgelegt ist, werden sie 45 Menschen finden. 29 Männer, neun Frauen und fünf Kinder, zusammengepfercht in den Kajüten und auf Deck. Sie stammen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Dazu drei Steuermänner, erneut Ukrainer. Insgesamt dürften die Passagiere fast eine halbe Million Euro für ihr gescheitertes Unterfangen bezahlt haben.

© Ricardo Herrgott

Als Kapitän Franco über Funk vom Zugriff der Italiener erfährt, kann er es kaum fassen. Da ist die Verzweiflung, das Geld, die Gier, aber auch das Leid und das Risiko, die ihn überraschen. Dabei ist die See vor ihm fast wie im Werbevideo. Ganz friedlich, still, ja geradezu -azurblau.