Hochmair: "Theater ist die
Ladestation für meine Seele"

Den Salzburger Jedermann spielt ein anderer, aber Philipp Hochmair ist auch so im Hochbetrieb. Ein Gespräch über die Herausforderung, einen Nazi-Mörder zu spielen, die Zukunft des Theaters und "Blind ermittelt" als Versicherung ab 28.12.)

von Schauspielstar - Hochmair: "Theater ist die
Ladestation für meine Seele" © Bild: Matt Observe/News

Die waren zäh damals, drahtig, hart für den Endsieg der Bestialität und der Entmenschung. Auch war Krieg, und der schlug nur wenigen Bonzen so sichtbar an wie dem feisten Hermann Göring.

Aber der Reichsmarschall hatte das Projekt Endlösung ohnehin schon an Spezialisten weitergegeben, denn es ging gar nicht mehr um den Beschluss zur bald darauf einsetzende Ermordung von sechs Millionen Menschen. Die war schon beschlossen, jetzt galt es noch die Logistik des Massenmordes zu klären.

»Sie sahen sich als Auserwählte, die die Rasse reinigen müssen«

Deshalb trafen einander am 20. Jänner 1942 in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin hohe Chargen aus den besetzten Gebieten mit Spitzenbürokraten aus dem Hinterland. Der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann führte das Protokoll, der Staatssekretär Roland Freisler qualifizierte sich für die spätere Beförderung zum Blutrichter.

Hauptredner und Vorsitzender der fünfzehnköpfigen Runde war der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der vier Monate später nach dem Attentat eines tschechischen Widerstandskämpfers starb, aber im Wirken für den "Führer" auch posthum nicht nachließ: Zu seinem Gedenken wurden die Massaker von Lidice und Lezaky verübt.

Die Stunde der Macher

Um sich glaubhaft in das zähe, drahtige Endsiegerformat des Obergruppenführers Heydrich zu begeben, hat der österreichische Schauspieler Philipp Hochmair sieben Kilogramm verloren. Das ist die eine, die banale Seite dieser Verwandlung.

© Matt Observe/News Der Groß-Energetiker Philipp Hochmair

Das andere sind die Seelenverformungen, denen man sich hier zu unterziehen hat. "Wir sind noch mitten im Dreh, und ich habe dafür noch keine Worte gefunden, aber ich bin zutiefst erschüttert. Man kann hier wie durch eine Ritze in den Raum sehen, wo die Nazi-Granden diese unfassbaren Entscheidungen getroffen haben", skizziert Hochmair die Arbeit am ZDF-Film "Die Wannseekonferenz", die ihn gerade in Berlin festhält. "Diese Sprache, diese Denkweise das ist so eine wahnsinnige Erfahrung! Wie sich die Welt so aufschlagen kann, dass sich alle Vektoren in so eine furchtbare Richtung wenden können."

Hier Bestien zu porträtieren, das brächte keinen der Mitwirkenden -unter ihnen Simon Schwarz, Markus Schleinzer und Philipp Bundschuh - weiter. "Die sind von sehr klaren Motivationen getrieben, da gibt es nichts Blutrünstiges, keine vordergründige Bösartigkeit.

Das waren klar strukturiere Macher, die sich eingebildet haben, einen notwendigen Dienst an der Menschheit zu tun. Sie sehen sich als Auserwählte, die die Rasse reinigen müssen. Dafür suchten sie eine möglichst effiziente Methode."

»Mal schauen, wie die Welt dann aussieht«

Sagt Philipp Hochmair, der mit seinen 47 Jahren habituell, energetisch und auratisch immer noch ein junger Schauspieler ist. "Die Wannseekonferenz" wird erst 2022, zum runden Jahrestag des Schandtags, ausgestrahlt. "Mal schauen, wie die Welt dann aussieht", sagt er.

Dass jetzt schon wieder Nazis marschieren, dass in Österreich auf der Straße ein Rabbiner angegriffen wird, dass Judenhass zur multiethnischen Bedrohung wird? "Es ist unvorstellbar, dass es überhaupt wieder dazu kommt. Ich bin schockiert und stehe dem mit Schrecken und absolutem Unverständnis gegenüber. Vielleicht ist das dann auch der richtige Film, der richtige Beitrag dazu."

Der Privilegierte

Dass er privilegiert ist und dass die Pandemie viele seiner freischaffenden Kollegen bis in die Existenz getroffen hat, ist ihm bewusst. Gewiss gab es im Frühjahr auch für ihn viele Absagen, denn seine Soli sind begehrte Ereignisse. Mit Goethes "Werther" hat der exquisite Rhetoriker schon die Theaterwelt umrundet.

Seine Projekte

Bald folgt ein Schiller-Programm, und derzeit ist sein "Jedermann", in dem er sämtliche Rollen verkörpert, eine anhaltende, entsprechend stürmisch gebuchte Sensation, deren Absagen sich fühlbar niederschlugen.

Aber die Auftritte auf dem Linzer Hauptplatz und dem Wolkenturm in Grafenegg sollen im Sommer nachgeholt werden. Und die freie Zeit nutzte er, um das Projekt im Auftrag des ORF unter dem Titel "Meine Reise zu Jedermann" zu dokumentieren (die DVD erscheint bei Hoanzl).

Die vielen unmotivierten, nicht fernsehgerecht aufgearbeiteten Theatermitschnitte, die zur Krisenzeit plötzlich das Internet geflutet haben, befeuerten das Projekt, der Zuseher begleitet auch die fünf Jahre dauernde Tournee mit der Band "Elektrohand Gottes", die bis ins mehrmals ausverkaufte Burgtheater geführt hat.

© ARD/Stanislav Honzik Charieté, die Serie. Philipp Hochmair als ambivalenter österreichischer DDR-Mediziner

Und auch anderweitig fehlte es nie an Beschäftigung. Die finale sechste Staffel der "Vorstadtweiber" ist im Entstehen begriffen, die fünfte kann ab Jänner gesehen werden. Und im selben Monat wird auch via ARD und Netflix die dritte Staffel der Serie "Charité" gesendet: Krankenhausfernsehen der konträren Art, denn Hochmair verkörpert den charismatischen österreichischen Pathologen Otto Prokop, der in der DDR die Todesursachen der Mauertoten einerseits vertuschte, andererseits für die Nachwelt dokumentierte.

Blind als Versicherung

Nicht zu vergessen der eigentliche Anlass des Gesprächs, zu dem der ORF eingeladen hat. Am 28. Dezember wird gesendet, was im heißen, Corona-teilentwarnten Sommer "fast wie mit der heißen Nadel gestrickt wurde": nämlich die erste von zwei Folgen der Serie "Blind ermittelt".

Im Wettrennen mit dem Virus hat man vorausblickend zwei am Stück gedreht, die Drehbücher entstanden zum Teil während der Arbeit. Das Format um den blinden Kommissar Haller, das sich seit dem Piloten vor drei Jahren erstklassig entwickelt hat, ist in diesen unfreundlichen Zeiten eine gute Versicherung.

© ORF/Mona Film/Philipp Brozsek Blind ermittelt. Das innovative ORF-Format kommt am 28. Dezember und 4. Jänner wieder

Filmdreh während Corona

Drehen ist seit Corona zur ungeahnten logistischen Herausforderung geworden. Messgeräte, die man am Körper trägt, damit man einander auf dem Set nicht über die Notwendigkeit hinaus begegnet, sind schon Alltag, nicht zu reden von den Tests, zweimal die Woche seit Juni. Einmal gab es Fehlalarm, und das System stand für Tage still.

So steht Hochmair zur Impfung

Wird er sich da nicht impfen lassen, sobald es möglich ist? "Ich habe persönlich keine Angst. Ich werde schauen, ob ich erstmal ohne diese Impfung auskomme", sagt er nach einer Pause des Überlegens "Ich habe ein direktes Verhältnis zu meinem Körper. Als Bühnenschauspieler bin ich quasi wie ein Pilot mit ihm permanent in Funkkontakt und muss wissen, was da los ist.

»Mein Körper ist meine Maschine, die ich regelmäßig warten, pflegen und schützen muss, damit sie einsatzbereit ist.«

Mein Körper ist meine Maschine, die ich regelmäßig warten, pflegen und schützen muss, damit sie einsatzbereit ist. Insofern", schließt er das Thema, "würde ich überlegen, ob ich meiner Maschine so ein Medikament zuführen soll, wenn sie das nicht unbedingt braucht. Ich bin nicht in der Risikogruppe, und ich passe sehr gut auf mich auf."

Das Theater geht nicht unter

Das Theater, fügt er hinzu, wird nicht untergehen, wie immer sich das gegenwärtige Verhängnis auch entwickelt. Eventuell ist Kreativität vonnöten, er selbst, erzählt er, sei kürzlich in Autokinos aufgetreten und habe dort gute Erfahrungen gemacht.

Schon gar nicht in Österreich kann das Theater in ernstere Bedrängnis geraten, erinnert er sich der Zeit am Burgtheater in der Heimatstadt Wien. Hier ist er als Sohn eines Ingenieurs und einer Lungenfachärztin aufgewachsen (sie rettete nebst vielen anderen dem Orgelprofessor der nachmaligen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek das Leben). Hier wurde er am Reinhardt-Seminar von Klaus Maria Brandauer ausgebildet.

"Theater", klärt er die Prioritäten, "ist immer mein Dynamo, die Ladestation für meine Seele. Aber jetzt das Experiment Heydrich oder den blinden Kommissar weiter zu spielen, das sind Universen, die ich weiter ausloten möchte Da liegt im Moment meine ganze Konzentration."

Und "Jedermann"?

Bleibt das eventuell sensibelste Thema. Als vor zwei Sommern Tobias Moretti mit einer durchaus bedrohlichen Lungenentzündung im Krankenhaus lag, übernahm Philipp Hochmair binnen Tagen im Triumph den Jedermann.

Und das war nicht einfach ein Einspringen für fünf Vorstellungen, denn sein eigenes "Jedermann"-Projekt unterscheidet sich bis in die Fundamente vom allsommerlichen Domplatz-Spectaculum. Als nun Moretti im vergangenen August bekanntgab, die Rolle nicht weiterspielen zu wollen, wurde Hochmair sogleich als Nachfolger genannt (nur nicht von News, wo man den neuen Titelprasser Lars Eidinger schon damals nachlesen konnte).

Und jetzt? Fühlt er etwas wie Kränkung, dass es anders kam? "Ich war ja schon gefühlt einen Sommer Jedermann ...", winkt er da ab. "2018 habe ich das in aller Fülle und Pracht erfahren dürfen. In einer Dynamik und Dichte, wie das wahrscheinlich niemand erleben wird.

Ich finde die Auswahl sehr gut! Ich bin selber ein großer Fan von Lars und Verena", bezieht er auch die neue Buhlschaft Verena Altenberger in die Kollegialitätsbekundung ein. "Ich bin sicher, die beiden werden das großartig machen."

Damals, fügt er hinzu, habe ihn sein Instrument, seine Maschine sicher durch die Extrempartie geleitet. "Das spontane Einspringen auf dem Domplatz hat das für mich auf den Punkt gebracht. Da musste ich von einem Moment zum andern zum Einsatz fliegen, und es hat funktioniert. Da war meine Maschine irgendwie in Höchstform."

Dann folgt ein Satz, geeignet, aufmerksamen Zuhörern die Ohren zuzuspitzen. "Mein eigenes Jedermann-Projekt ist weiterhin sehr präsent, und ich habe noch viel Zeit vor mir. ,Jedermann auf dem Domplatz' wird schon kommen, wenn es denn nochmal sein soll."

Bei aller Bewunderung für den Designatus, der im kommenden Sommer unter hoffentlich neunormalen Umständen antreten wird: Ja, es soll.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 50/20